Guerilla Gourmets on Tour
Mein guter Freund Martin fährt jedes Jahr hin, sein Kumpel Martin (ja, er heißt auch so) ebenfalls. Einmal sind die beiden sich sogar zufällig dort begegnet. Überhaupt scheint jeder schon mal da gewesen zu sein, nur eben ich nicht. Der lange Flug zwischen schmierigen alten Herren und Flip-Flop-Backpackern, das wuselig hektische Millionen-Moloch Bangkok, die endlosen Sandstrände von Ko Phangan und Ko Samui - Thailand ist das unendliche Urlaubsgeschichten-Deja-Vu schlechthin. Wenn es für mich überhaupt einen Grund gäbe jemals meinen Villa-Germania-Grusel zu überwinden dann diesen - die Thailändische Küche.
Die vielen kulinarischen Anekdoten über deliziös duftende Garküchen am Straßenrand, an denen das Essen einem sanft bis keck über den deutschen Gaumen brennend, neue Geschmacksuniversen eröffnet, machen mich unglaublich neugierig. Sie passen so gar nicht zu den Erfahrungen die ich in hiesigen Glutamat-Kaschemmen machen musste, die sich Thai-Imbiss schimpfen. Den Backpackern unter den Guerilla Gourmets ergeht es da ganz ähnlich, denn Asia-Fix-Fertig-Sauce und gebratene Nudeln am Eck schmecken einfach nicht mehr, wenn man einmal vom Bambusstrauch der Erkenntnis naschen durfte. Kein Wunder also, dass es kaum eine Frage gibt die in unserer kleinen Genießer-Gruppe heftiger diskutiert wurde als „Wo bekomme ich einigermaßen authentische Thai-Kost zum fairen Preis?“
Typisch Guerilla nahm bei uns wieder keiner eine Lotusblatt vor den Mund, so dass sich trotz Unmengen an Empfehlungen, Vorschlägen und Erfahrungsberichten lange kein gemeinsamer Nenner herauskristallisierte. Mal war das Essen mit dem letzten Pächterwechsel ungenießbar geworden, mal nervte die Ehefrau des Wirts, die einem auf penetranteste Art sirupsüße Zucker-Cocktails aufdrängen wollte. Mal war das Essen zu sehr auf den deutschen Gaumen zugeschnitten, dann wieder bekam man statt der gewünschten kross gebratener Ente eine matschig-graue Kokospampe kredenzt. Welches Restaurant auch empfohlen wurde, es gab immer eine Anekdote des Schreckens über den gleichen Laden. Das ging eine ganze Weile so, bis dem persischen Bud-Spencer-Look-alike Mo einfiel, dass er vor Monaten durch Zufall, ausgerechnet in der Einöde des Kraichgaus, auf ein thailändisches Kronjuwel gestoßen war. Seine Schilderung klang abenteuerlich und etwas unwirklich zugleich. Angeblich führe ein Herr namens Hartmut dort schon seit Jahren eine Sportgaststätte in der auch der örtliche Kegelverein residiert. Jahrelange soll besagter Hartmut seinen Gästen Schnitzel, Pommes und Salat sowie ehrliche deutsche Hausmannskost serviert haben, bis er eines Tages eine thailändische Dame namens Suwandee kennenlernte und ehelichte. Seit diesem Tag ist alles anders in Meckesheim, nicht mehr Schnitzel und Bier sondern scharfe Ente und Jasmintee nehmen die Ü60-Kegelbrüder bei ihrem Stammtisch zu sich. Der Bericht machte uns stutzig und neugierig zugleich. Binnen kürzester Zeit rottete sich ein ganzes Rudel Guerilleros zusammen um sich noch in der gleichen Woche, gemeinsam auf die Ho-Chi-Minh-Pfade des Kraichgaus zu begeben und der Sache auf den Grund zu gehen. Wie eine Schulklasse auf dem Weg ins Landschulheim stiegen wir in Heidelberg in die Regionalbahn und tingelten durch die benachbarten Dörfer, bis wir schließlich im Goldenen Dreieck zwischen Meckesheim, Zuzenhausen und Hoffenheim ankamen. Die Dorfjugend wies uns hungrigen Städtern hilfsbereit den Weg durch die anliegenden Schrebergärten, hinüber zu dem Schlemmertempel mit dem grammatikalisch etwas zweifelhaften Namen „AMAZING TO THAILAND“.
Unter bunten Leuchtgirlanden nahmen wir Platz und schmökerten genüsslich durch die Speisekarten, die „Hartmut The Don“ uns höchstpersönlich an den Tisch gebracht hatte. Tatsache, - multikulti par excellence! Da stand das Jägerschnitzel direkt neben der Tom Kha Gai, das Beste aus zwei Welten, exakt wie es uns beschrieben worden war. 20 Personen bestellten querbeet durch die Karte, Vor- und Hauptspeisen, Suppen und Desserts, Huhn, Ente und Rind, scharf und mild. In großen, silbernen, reich verzierten Schalen brachten Hartmut und seine flinken Helferinnen Unmengen Reis an unsere Tafel und stellten immer neue Warmhalteplatten auf. Als das Essen schließlich serviert war, sah es aus, als wäre für die thailändische Königsfamilie ein Festbankett aufgefahren worden, und es duftete exakt so wie ich es mir auf meinen imaginären Reisen ins Land des Lächelns immer vorgestellt hatte – absolut köstlich. Selbst unser kritischer Thailand-Experte Martin strahlte bis über beide Ohren als er die erste Gabel zu sich nahm, Volltreffer! Nach dem Essen, das wirklich allen vorzüglich schmeckte, gab es eine Runde „Mekong“ aufs Haus. Dabei handelt es sich um eine Art Thai-Whiskey der riecht wie Uhu-Flüssigkleber in den 80er-Jahren, aber erstaunlich weich und lecker im Abgang ist und von dem wir noch einige Runden nachbestellten, bevor wir auf der Kegelbahn unser Glück versuchten. Dort schlossen wir binnen kürzester Zeit Freundschaft mit den erstaunlich weltoffenen Senioren des Meckesheimer Kegelvereins. Keiner der an diesem Tag dabei war ist mittlerweile nicht Stammgast bei Hartmut geworden, und die Wahrscheinlichkeit, dass ich jemals tatsächlich die weite Reise über den Indischen Ozean antreten werde ist deutlich gesunken, denn wenigstens kulinarisch liegt das Land des Lächelns nur wenige Kilometer entfernt, in Meckesheim.
(Text: Andreas Stanita)
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