GUERILLA GOURMETS – A TOWN IN CHINA
„Was dauert denn da so lang, der sieht uns doch absichtlich nicht!“ Nur zu häufig hört man die Gäste am Nebentisch laut schimpfen, Barkeeper-Bashing und Kellner-Kritik sind weit verbreiteter Volksport. Fühlt man sich als Gast übergangen, zückt man das Smartphone und zeigt dem Laden „wo de Baddel de Moscht holt“. Verriss bei Yelp, eine Watschen auf Facebook, ein Arschtritt auf Foursquare und Trinkgeld? „Kannste knicken!“ Aber ist es um die Service-Kultur wirklich so schlecht bestellt?
Wenn die Kellnerin lieber rauchend Smileys auf Whatsapp verschickt, statt die Bestellung aufzunehmen – klar, dann platzt einem schon mal der Kragen. Sitzt man hingegen zur Mittagszeit in einem gut gefüllten Lokal und sieht, wie das Personal von links nach rechts hechtet und ohne mit der Wimper zu zucken Sonderwunsch nach Sonderwunsch erfüllt, dann begreift man, was für eine erstaunliche Leistung diese Leute vollbringen. Bei meinem Stammitaliener bekommt der erste Gast, der eine Bestellung ohne Extrawunsch aufgibt ein Glas Prosecco auf’s Haus. An manchen Tagen dauert es Stunden bis das passiert.
Jeder, der schonmal hinter einem Tresen stand, kennt den Adrenalinschub der einen erwischt, wenn Gäste mit einem lauten, klimpernden Knall eine Faust Rotgeld auf den Tisch hauen oder den Betrag gönnerhaft von 23,80 auf 24 Euro aufrunden – „Stimmt so, der Rest ist für dich“. In solchen Fällen können nur Bar-Buddhisten ihren Unmut verbergen.
Vor einiger Zeit bediente mich eine Kellnerin, auf deren Schürze in dicken Lettern „TIP IS NOT A TOWN IN CHINA“ stand. Dass Trinkgeld im Englischen TIP heißt ist weitläufig bekannt, was jedoch kaum einer weiß ist, dass es sich bei dem Wort um ein Abkürzung handelt. Die drei Buchstaben stehen für: TO INSURE PROMPTNESS. Das im Vergleich deutlich üppigere amerikanische Trinkgeld hat einen interessanten Nebeneffekt. Wie ich mehrfach beobachtete, stellen sich in den USA Barkeeper und Gast einander namentlich vor. Der Gast zahlt bei der ersten Runde das Doppelte des geforderten Betrags. Ab diesem Augenblick braucht er sich der Bar nur zu nähern und der Barkeeper stürzt ihm förmlich entgegen. – Promptness insured!
Wer also professionelle Freundlichkeit erwartet, sollte auch ihren Preis kennen und bereit sein, ihn zu bezahlen. Allen anderen empfehle ich eine Lektion in Kneipen-Karma: „Wie man in den Gastraum ruft so schallt’s auch heraus“. Einfach selbst freundlich lächeln, statt mit den Fingern zu schnippen und mit dem 5-Euro-Schein zu wedeln. Denn mit Servicequalität verhält es sich wie mit dem Essen, lieber authentisch und einfach als aufgesetzt und fancy. Die schlechte Laune des Kellners einfach mal akzeptieren und sich beim nächsten Besuch umso mehr über ein freundliches Lächeln freuen.
Manchmal klappt auch die Mischung aus Ehrlichkeit und hinreißend freundlicher Professionalität:
„Neben der Rhabarber-Riesling-Torte, hätten wir noch den gebackenen Erdbeerkuchen im Angebot. Ja, jetzt fragen sie zurecht: „Was bitte ist ein gebackener Erdbeerkuchen?“ Klingt ja auch ein bissl komisch, was soll man auch darunter schon verstehen? Aber ich verrate es ihnen: Ein gebackener Erdbeerkuchen ist, wie der Name schon sagt ein Kuchen, der mit den Erdbeeren gebacken wird. Den gebackenen Erdbeerkuchen verfeinern wir mit Streuseln, so wie man es von anderen Kuchen kennt. Mit einem Klacks Schlagsahne ist das was ganz was feines. Verstehen sie mich nicht falsch, die sind alle ganz fabelhaft, aber der gebackene Erdbeerkuchen, mmmmmmmh, der schmeckt mir ganz besonders lecker.“
Mach glatt Michelle, ich freu mich auf den nächsten Besuch!
Text: AS